Brasilien 2022
1 Farmleben im Sumpfgebiet
Auf dem Weg ins Pantanal
Auf dem Weg ins Pantanal
Brasilien ist das grösste südamerikanische Land. Mit etwa 8'515'770km2 hat es ungefähr die Grösse von Europa. Ein grosser Teil des Landes ist mit dem berühmten Amazonas Urwald überwachsen, wo man praktisch nur per Schiff weiter kommt. Von den rund 220 Millionen Einwohnern wohnen die meisten an der Küste. São Paulo und Rio de Janeiro sind die zwei grössten Städte des Landes und São Paulo sogar die grösste Stadt Südamerikas.
Schon seit Beginn unserer Reise zog Brasilien uns in seinen Bann. Wir haben immer wieder von der Schönheit Brasiliens gehört und wir setzten uns in den Kopf, in den Nordosten des Landes zu fahren. Einerseits sollen dort die schönsten Strände des Landes sein, einige behaupten, sie seien sogar schöner als die in der Karibik, andererseits sei es kulturell und kulinarisch sehr spannend. Eine kulturelle Mischung, gute Musik und leckeres Essen fände man an jeder Ecke. Da aber zwischen dem Nordosten Brasiliens und Paraguay mehrere Tausend Kilometer liegen, gingen wir die Sache wie immer ruhig an und bereisten zuerst eine komplett andere Ecke des Landes.
Durch ein befreundetes, brasilianisches Paar, mit dem wir den Lockdown in Sizilien, Italien ausgesessen hatten, bekamen wir die Möglichkeit, das traditionelle Leben auf einer Farm kennen zu lernen. Wir durften auf zwei Rinderfarmen, die eine in der Nähe von Bonito, einer touristischen Kleinstadt und die andere im südlichen Pantanal. Das Pantanal ist das weltweit grösste Feucht- und Sumpfgebiet und erstreckt sich im Süden Brasiliens, sowie in Paraguay und Bolivien. Zu gewissen Zeiten des Jahres, sind viele Strassen nicht befahrbar, da sie überflutet sind. Die Artenvielfalt der Tiere ist erstaunlich und mit einer geführten Tour oder ganz viel Glück kann man sogar einen Jaguar in freier Wildbahn sehen. Neben viel Natur gibt es auch ganz viele Rinderfarmen im Pantanal, wie auch im ganzen Staat Matto Grosso und Matto Grosso do Sul. Die Farm auf der wir im Pantanal waren, hat rund 5'000 Hektaren, gehört aber eher zu den kleineren. Wir überlegten uns lange, ob wir diese Farm besuchen sollten, da man uns erzählte, dass eine rund 200km lange Tiefsandpiste dorthin führt. Der Farmer nahm uns dann aber unsere Zweifel indem er meinte, die Strasse wurde vor Kurzen neu gemacht und befindet sich jetzt in einem guten Zustand, ohne Tiefsand. An der letzten Tankstelle füllten wir unseren Zusatzkanister und die Tanks unserer Motorräder bis zum Rand voll mit Benzin und wagten uns auf die Strecke. Nachdem die Teerstrasse endete bekamen wir über 200km nur noch Erdstrassen mit wellblechartigen Unebenheiten, bedeckt mit ein wenig Sand und Steinen unter die Räder. Schon bald waren wir ziemlich alleine auf dieser Piste unterwegs. Ab und zu kam uns ein Lastwagen mit Rindern entgegen und wir sahen immer wieder am Strassenrand die bekannten Tiere des Pantanals. Mehrmals sahen wir von Weitem Staubwolken auf uns zukommen. Dies waren keine Transporter sondern einfache Farmer auf Pferden, die ihre Rinder über die Strasse trieben. Sie freuten sich ebenso uns zu sehen, wie wir sie. Die Farmer in Südamerika versprühen durch ihre meist traditionelle Kleidung und Lebensstil einen gewissen Charme, den wir einfach toll finden. Irgendwann kam dann doch mehr Sand und wir kämpften uns langsam vorwärts. Zum Glück endete dieses Stück sehr schnell und wir hatten wieder die gewohnte Schotterpiste unter den Rädern. Mit viel Staub im Gesicht fuhren wir den letzten und einzigen Kilometer Tiefsand auf die Farm zum Farmhaus, wo wir von Alfredo und seinen Arbeitern begrüsst wurden. Er führte uns durch seine Farm und zeigte uns das, was vom Feuchtgebiet Pantanal noch übrig ist. Obwohl die Farmen rund 40% ihres Landes aus Naturschutzgründen nicht bewirtschaften dürfen, wird die Lage im Pantanal immer prekärer. In den letzten 4 Jahren regnete es kaum noch und grosse Teile des Feuchtgebietes, haben sich in trockene Steppen verwandelt. Alfredo muss nicht nur für seine Kühe viele Tausend Liter Grundwasser hinauf pumpen, sondern hält somit auch einige der Wildtiere noch am Leben, die sonst verdursten würden. Eines der bekanntesten Wildtiere im Patanal sind Kaimane (kleinere Krokodile), die sich jetzt durch die Trockenheit in den wenigen, noch verbliebenen Wassertümpeln retten. Leider sieht auch da die Lage schlecht aus. Die Szenen, die wir beobachten durften, sind sehr traurig. Dutzende von ausgemergelten Kaimanen liegen in diesen Teichen. Nicht wenige davon sind tot, liegen am Wasserrand oder aufgebläht im Wasser. Da die Not so gross ist, beginnen die Kaimane tote Artgenossen zu fressen. Dies würden sie unter normalen Umständen nicht tun. Aber nicht nur für die Kaimane verschwindet der Lebensraum. Auch für die blauen und roten Ara Papageien ist nicht mehr viel Nahrung wegen der Trockenheit übrig. Wenn Alfredo bei seiner Arbeit Nahrung für sie findet, nimmt er sie mit und verfüttert sie, um dem Artensterben etwas entgegen zu wirken. Das grösste Problem des Pantanals sind die Kühe und der Mensch. Eine Kuh trinkt pro Tag mindestens 60l Wasser. Bei vielen Tausend Kühen sind das viele Hundertausend Liter Wasser, welche die Kühe benötigen und nicht mehr für das Ökosystem mit dessen Flora und Fauna zur Verfügung stehen. Das andere Problem ist der Mensch, der für mehr Anbauflächen gigantische Flächen abholzt und abbrennt und danach gentechnisch veränderter Mais und Soja in gigantischen Monokulturen anbaut. So verschwinden täglich grosse Flächen an unberührter Natur, um dem Mensch und dessen Bedürfnissen Platz zu machen. Auf diesen zwei Farmen durften wir viel lernen und sehen über das lokale Leben und die Probleme, welche Brasilien hat. Auch dieses Mal sind wir sehr froh, dass wir nicht die Touristentour gebucht haben, sondern das echte Pantanal mit seinen Schönheiten und Problemen kennenlernen durften. Die grosse Hoffnung liegt auf dem Regen, der wieder Wasser bringt und somit die aktuelle Situation wieder beruhigen kann. Auf einer Rundfahrt mit Alfredo durften wir von weitem einen Ameisenbär, Wasserschweine, Hirsche, einen Nasenbär, Kaimane, einige der blauen und roten Ara Papageien, sowie andere kleinere Papageien, Wildschweine, Tukane, Gürteltiere und viele Kühe und Pferde sehen.
Nach dem Pantanal fuhren wir wiedermal lange gerade aus in Richtung São Paulo. Der ganze Staat Mato Grosso do Sul ist ziemlich flach und es gibt fast nur Landwirtschaft. Dies ist auch der grosse Transportweg in die Metropolregion São Paulo und entsprechend war der Verkehr. Halsbrecherische Überholmanöver von Lastwagen und Pickups, bei denen wir mehrmals von der Strasse runter, auf die Pannenspur gedrängt wurden. Umso mehr genossen wir es, als wir über die Staatsgrenze nach São Paulo fuhren und wieder viele kleine Strasse und Wege vorfanden. Wir folgten mehrere Tage einem Fluss durch viele Hügel bis zum Gebirgszug Serra da Mantiqueira, der sich zwischen São Paulo und Rio de Janeiro befindet, wo wir für einen weiteren Helferseinsatz abgemacht hatten. Der letzte Tag vor Ankunft war der bis jetzt schönste Fahrtag in Brasilien. Wir fuhren 160km durch die Hügel der Serra da Mantiqueira, fast ausschliesslich auf Erdstrassen. Es ging hoch und runter, nach rechts und nach links, durch Dörfer, an Bauernhöfen vorbei, durch Wälder und Wiesen. Wir genossen die hügelige Landschaft und die tollen kleinen Strasse auf denen wir gelandet waren in vollen Zügen. Einer solchen Erdstrasse folgten wir bis zum Ende auf einen Hügel, wo Ale und Tissy, unsere Gastgeber für die nächsten Wochen uns in Empfang nahmen.
Kurz vor der Pandemie kauften Ale und Tissy mit Hilfe von Freunden und Famiie ein 12 Hektar grosses Stück Land rund 2 Stunden von São Paulo entfernt. Beide sind in Sâo Paulo aufgewachsen und wollten aufs Land. Was sie eigentlich Schritt für Schritt angehen wollten, ging plötzlich mit der Pandemie ganz schnell und sie wohnten bald Vollzeit auf ihrem neuen Grundstück. Um möglichst schnell Einnahmen zu generieren, liessen sie einen kleinen, hölzernen Dom bauen. Dies sind runde Gebäude, die mit Hilfe von geometrischen Formen gebaut werden. Durch die Pandemie wollten auch hier alle Leute raus aus der Stadt und aufs Land. Ihr Dom wurde schnell zu einer sehr beliebten Unterkunft und ist bis jetzt so gut wie immer ausgebucht. Um ihre 12 Hektaren etwas zu verschönern, bauten wir einige Bänke, die wir an verschiedenen Wegen und Aussichtspunkten verteilten. Wir waren aber nicht nur zum Helfen gekommen, sondern schauten für zwei Wochen auf ihr Grundstück, ihren Hund Mia und dass der Gästebetrieb weiter lief, während sie sich eine kleine Auszeit nahmen und in den Urlaub fuhren. Statt gross zu geniessen, lag ich aber über eine Woche mit Fieber im Bett und Rino sass tagelang am Computer, um wiedermal Ersatzteile für eines unserer Motorräder zu organisieren.
Nach über einem Monat in Brasilien, hatten wir das Meer noch nicht gesehen. Also zog es uns als nächstes an die nicht weit entfernte Küste und langsam Richtung Norden nach Rio de Janeiro.